Hermann Hesse. Der Weg nach Innen, Kommentartext von Andreas Christoph Schmidt

10:00:10        

Als er bereits ein alter Mann war, fuhr Hermann Hesse im August regelmäßig ins Engadin, nach Sils Maria.

 

00:47             

Sein Blick aus dem Zimmerfenster fiel auf das, so nannte er es: „schönste Geburtshaus eines großen Stromes.“ Denn hier entspringt der Inn. Und er fließt nicht nach Westen, ins nahe Italien. Er nimmt den weiten Weg, ostwärts, weit durch die Alpen, sammelt das Wasser vieler Bäche und Flüsse und mündet bei Passau in die Donau.

 

01:12              

Hesse liebte weite Wege, hatte als junger Mann Wanderungen gemacht, die heute ganz unglaublich anmuten, hunderte von Kilometern auf der Landstraße. Auch durch das Engadin war er gewandert, an St. Moritz vorübergezogen und Sils, mit seinem berühmten Hotel Waldhaus, aber er war bei weitem nicht in der Lage, hier einzukehren.

 

01:33              

Eigentlich war sein ganzes Leben eine weite Wanderung gewesen. Sein weiter Weg nach innen.

 

02:34            

Am Ende nun war er ein hochgeehrter Gast im Waldhaus, das nur von hochgeehrten Gästen und eigentlich beinahe nur von Berühmtheiten bewohnt wurde.

 

02:50             

Die Manns und die Hesses trafen sich hier,

 

02:54              

Das Gästebuch, nein, Arrivéebuch belegt es, abends plauderten die beiden Literaturnobelpreisträger ein Stündchen miteinander, wobei Hesse mehr lauschte als sprach.

 

03:23              

Das Zimmer, in dem Hesse wohnte, ist noch so eingerichtet wie ehedem. Heute übernachtet hier gelegentlich Hesses Enkel Silver.

 

05:08               

Einmal jährlich findet in Sils ein Hesse-Kongreß statt. Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg hält einen Einführungsvortrag. Eine zeitlang war er Präsident der Akademie der Künste in Berlin, und eine lange Zeit war er Literaturprofessor in den USA und Zürich. Sein erstes Leseerlebnis hätte ihm Hesse beinah verleidet.

 

06:16                

Und so hatte es begonnen: Hermann Hesse wurde 1877 in Calw, im Nordschwarzwald geboren, in eine Familie hochbegabter, zu großer Entsagung bereiter, unermüdlich fleißiger Gottesknechte. Die Eltern stammten beide nicht von hier. Sie waren Missionare, und die Mutter war in Indien geboren worden. Der Großvater, Hermann Gundert, hatte einen Glasschrank mit indischen Götzen und sprach alle Sprachen. Die, (von denen wir gehört haben) deren Namen wir kennen, aber auch solche: Malayalam, Fali, Hindustani…

 

07:12                 

Seltsamer Gegensatz: das Städtchen mit seinen Winkelgassen, und darin diese weltbewanderte Familie. Der Vater kam aus Estland, war Baltendeutscher, hatte einen russischen Pass und sprach unbeirrbar hochdeutsch. Das Deutsch, das sein Sohn später schrieb, ein Fremdling in Fachwerkkulisse.

 

07:35              

Die Großmutter erst: Sie konnte nur französisch, las in ihrer Bibel und blieb sogar den Enkeln fremd.

 

08:03             

Er war aber kein leicht erziehbarer Knabe gewesen.

 

08:32             

Seit Jahrhunderten beherbergt das Zisterzienserkloster von Maulbronn eine Schule. Zu Hesses Zeit musste man eine Reihe schwerer Prüfungen bestehen, ehe man hier eintreten durfte.

 

08:49             

Wer das Landexamen bestand, konnte sich als einen Auserwählten betrachten, denn viele scheiterten, nur wenige wurden zugelassen. Ihr Lebensweg stand fest: Professor oder Pfarrer, Katheder oder Kanzel. Hesse war 14, als er nach Maulbronn kam.

 

09:51             

Holder, das ist Hölderlin, auch er war Seminarist in Maulbronn.

 

09:59             

Hesses Großvater Hermann Gundert, der stolz war, seinen Enkel an der Schule zu wissen, die er selbst einmal besuchte. Von ihm jedoch, Hesse selbst, keine Spur.

 

10:12             

Denn er sollte hier scheitern.

 

10:15             

Maulbronn ist das Vorbild für Mariabronn in „Narziß und Goldmund“ und Waldzell in Hesses großem letzem Roman „Das Glasperlenspiel“. Eine Provinz des Geistes. Ein Hort der Auserwählten. Und ein Ort des Scheiterns. In „Unterm Rad“ erscheint es unter seinem wirklichen Namen.

 

11:13             

Bericht der Schulleitung über die Flucht des Zöglings Hesse. Ein halbes Jahr nur war er in Maulbronn; im Frühling 1892 wird er, nachdem er davongelaufen und wieder heimgebracht worden ist, nachdem er von Selbstmord gesprochen und mit Mord gedroht hat, entlassen.

 

12:22             

 „Unterm Rad“ ist eine bittere Abrechnung mit der Schule.

 

13:05             

1914, ehe der Erste Weltkrieg ausbrach, und das Leben des arrivierten                                  Schriftstellers Hermann Hesse erneut in eine Krise kam, sah er seine                                     Klosterschule Maulbronn wieder:

 

13:56             

Das Refektorium, das zu Hesses Zeiten noch als Speisesaal genutzt wurde.

 

14:39             

Der Brunnen schweigt. In Maulbronn ist noch alles so wie damals. Und damals war es so wie in den Jahrhunderten zuvor. Es gibt heute Touristen hier und Gerüste. Das ist der Unterschied. Und: der Brunnen schweigt.

 

15:14             

Es gibt kein Foto Hesses aus der Maulbronner Zeit und dem folgenden, wie er schrieb, „unseligen“ Jahr 1892.

 

15:27             

Hier war er zwölf, mit dreizehn beschloß er, Dichter zu werden oder gar nichts. Der Sechzehnjährige scheint vom Leben bereits gezeichnet, dem Garnichts näher als der Dichtung.

 

15:43             

Das Kurhaus von Bad Boll. Hier brachten die Eltern Hesse in der Obhut eines befreundeten und berühmten Pfarrers unter, in der Hoffnung, er werde bei Ruhe, Kurbetrieb und guten Gesprächen wieder zu sich finden. Es gefällt ihm auch sehr gut hier: Kegeln, Spazierengehen, Billard, Musik hören. Er verliebt sich sogar – in eine 35jährige.

 

16:10             

Als sie ihn zurückweist, beschafft er mit geliehenem Geld einen Revolver und versucht sich zu erschießen.

 

16:17             

Der Revolver im Calwer Museum ist nicht die Originalwaffe – die war viel älter und ging nicht los.

 

16:35             

In Bad Boll darf er nun nicht mehr bleiben, plötzlich besteht ein Verdacht auf „primäre Verrücktheit“; die Mutter bringt ihn in die Nervenheilanstalt Stetten im Remstal.

 

17:04             

 Er ist gerade 15 geworden. Brief an den Vater: (ein Vierteljahrhundert, ehe Kafka seinen, den berühmten Brief an den Vater schrieb:)

 

18:02             

Bodenseelandschaft.

 

18:10             

Am westlichen, kleineren Teil des Sees, durch den der Rhein fließt, liegt auf der Halbinsel Höri, direkt der Schweiz gegenüber, das Städtchen Gaienhofen.

 

18:23             

1904, als Hermann Hesse hierher zog, lag die Wirrnis seiner Jugend hinter                            ihm.

 

18:32             

Die Schule hatte er nach einem weiteren Versuch am Gymnasium in Cannstadt endgültig abgebrochen. Mittlere Reife. Kein Abitur. Dann eine Buchhändlerlehre – Abbruch – ein Schlosserlehre – Abbruch – erneute Buchhändlerlehre in Tübingen, schießlich Antiquariatsgehilfe in Basel.

 

18:51             

Erste Veröffentlichungen, Gedichte, kurze Prosa, auf eigene Kosten.

 

18:59             

1903 entdeckt ihn ein Verlag, Samuel Fischer, und er schreibt für den ein Buch zu Ende, an dem er seit langem langsam arbeitet: Peter Camenzind, die Geschichte eines Schweizerjungen, der aus den Bergen kommt, in der Stadt Literat wird und in die Berge heimkehrt.

 

19:20             

Eine Italienreise mit der Basler Fotografin Maria Bernoulli, danach Verlobung und Heirat gegen den Willen ihres Vaters.

 

20:31             

Hesses Mutter, nach der er sich hier sehnt, war 1902 gestorben, 2 Jahre vor Gaienhofen.

 

20:43             

Die ersten Jahre lebte das junge Paar in einem alten Bauernhaus, Wasser aus dem Brunnen. Outsider, Aussteiger, Alternative.

 

Heute ist hier ein Museum. Es steht auch eins von diesen lebensgroßen, realistischen Standbildern hier, wie in Calw, bronzene Wiedergänger, die modern zu werden scheinen.

 

22:06             

Nach drei Jahren, der erste Sohn war geboren, konnten die Hesses ein eigenes Haus bauen. Eine stolze und luftige Villa.          

 

22:35             

Vor nicht langer Zeit stand das Haus leer, und ihm drohte sogar der Abriß. Gerettet wurde es durch private Initiative. Heute ist es teils Wohnung, teils Museum, und alles hier sieht aus wie zu Hesses Tagen.

 

22:52             

Hesses erster eigener Garten. Er war Wanderer und blieb es, war aber von nun an auch Gärtner, und die Arbeit im Garten, eigentlich auf Gemüse gerichtet und alternatives Leben, wurde für ihn zur Meditation, Denkschule und Quelle der Inspiration.

 

24:00             

Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod, heißt es bei Hesses späterem Freund, Thomas Mann, in den Buddenbrooks.

 

24:09             

Bei Hesse war es nicht der Tod, im Gegenteil, das Leben. Kaum war der Garten angelegt, das Haus eingerichtet, wurde er unruhig. Es sollte alles von Dauer sein, zwei weitere Söhne wurden ihm hier geboren, das Leben war eingerichtet, aber ihn zog es ständig fort.

 

24:38             

Als Hesse nach Asien reiste, verabschiedeten ihn seine Freunde mit einem Schattentheater, das der Künstler Otto Blümel angefertigt hatte, Hermann Hesses Seefahrt:

 

25:06             

Und so bricht er, von Abenteuerlust und Erkenntnisdrang getrieben, auf. Daß die Reise eine Flucht aus der Idylle war, sahen die Freunde nicht. Hesse verbarg seine Mißstimmung. In einem Brief aber schrieb er:

 

25:38             

Ein Gedicht aus der Gaienhofener Zeit. Es ist ein typisches, scheinbar harmloses Hesse-Naturgedicht und sagt deutlich, wie es um den gefeierten Erfolgsautor und Familienvater stand:

 

 

26:39             

Flugschau in der Schweiz 1912. Zum gängigen Bild des „Innerlichkeitsautors“ Hesse passt die unwiderstehliche Anziehung, die fliegende Kisten auf ihn ausübten, schlecht. Zur Literatur jener Jahre schon. Kafka hatte 1909 über die „Aeroplane in Brescia“ geschrieben, und Hesse war im selben Jahr auf der Frankfurter Luftfahrt-Ausstellung gewesen. Die Lithographie von Karl Bauer zeigt ihn als kühnen Weltmann, der er auch sein konnte. Nun kamen die Flugzeuge auch in die Schweiz, wo er mittlerweile lebte.  

 

27:30             

Er macht einen Rundflug – wohl als erster Schriftsteller überhaupt, ängstlich war er nicht. Aber was ihm dabei durch den Kopf ging, hatte nichts mit dem Rausch der Technik zu tun, der so viele Zeitgenossen ergriff:

 

28:07             

Die filigranen Fluggeräte – bald werden sie eine gefährliche Waffe sein in dem heraufziehenden Krieg.

 

28:24             

Bei Bern, heute Stadtrand, bewohnte Hesse mit seiner Familie ein großes, üppiges Haus, mit einem Garten nach seinem Geschmack.

 

28:34             

Vielleicht glaubte er, hier, weniger abgeschieden als am Bodensee, würden sich die familiären Verhältnisse entspannen.

 

28:43             

Kunst und Kultur waren nah, einfach mit der Straßenbahn in die Stadt, er würde nicht mehr so oft fliehen, und Mia würde fröhlicher werden.

 

28:55             

Aber es kam anders.

 

29:08             

Auf dem Haus lastete eine Düsternis.

 

29:13             

Ein Freund hatte hier gewohnt, der Maler Albert Welti, und daß er in Bern war, war einer der Gründe für die Hesses herzuziehen. Aber Welti starb plötzlich, kurz nach ihm seine Frau, das Haus stand leer und wurde Hesse zu günstiger Miete angeboten, ein anderes fand sich nicht so leicht wie gedacht, und da zog man in das Haus der Toten.

 

29:42             

Auch heute steht es wieder leer, hinter seinen dichten Baumhecken. Die letzten Bewohner duldeten keine Hesse-Pilger hier. Auch der Hesse-Forschung blieb es bisher unzugänglich, dabei ist es ein sprechendes Haus. Die Zeit ist hier stehengeblieben, und man betritt die Veranda mit leisem Schaudern. Mia fürchtete sich hier.

 

30:44             

Im Hesse-Editionsarchiv in Offenbach. So gut wie alles, was wir von Hesse gelesen haben und wissen, ist durch die Hände von Volker Michels gegangen, dem Herausgeber der Gesamtausgabe und vieler Werke über Hesse. Er hat sein Arbeitsleben beinah ganz diesem einen Autor gewidmet, und angefangen hat es – mit einem Briefchen.

 

31:57             

Bilder des Ersten Weltkriegs. Zürich 1914. In der Schweiz fühlte man sich, nach dem Einmarsch der deutschen Armeen in das unbeteiligte Belgien und Luxemburg, nicht unbedingt sicher. Man fürchtete, daß entweder Deutschland, oder aber Frankreich einen ähnlichen Überfall wiederholen würde.

 

32:49             

Er wartet vergeblich auf seine Einberufung, – er ist ja Deutscher – meldet sich schließlich freiwillig beim Konsulat in Bern, wird aber nicht eingezogen.

 

32:59             

Nicht daß er den Krieg begrüßt hätte, aber er verknüpft doch Hoffnungen mit ihm. Es müsse doch etwas Neues entstehen. Die starre Welt bricht auf. Aber Hesse ist kein Autor von Stahlgewittern. Nichts von dem, was sich an der Front zutrug, hat er mit eigenen Augen gesehen. Er sah heimkehrende Verwundete. Und die unfrohen Blicke derer, die an der Front gewesen waren und dorthin zurückkehren mussten. Er macht sich Sorgen um die französischen Kathedralen.

 

33:34             

Im November 14 erscheint in der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel von ihm.

 

34:19             

Als Antwort auf seine politischen Äußerungen traf ihn eine Haßwelle aus Deutschland in Briefen und Schmähartikeln. Was er nun auch schrieb, für die Hurra-Patrioten war er ein „Vaterlandsloser Gesell“.

 

34:40             

Am Hauptbahnhof in Zürich. Am 9. 3. 1916 wollte Hesse hier gerade in den Zug nach Winterthur steigen, da spürte er eine Hand auf der Schulter. Es war die seines Freundes, des Komponisten Othmar Schoeck, mit dem er seinerzeit durch Italien gereist war.

 

35:13             

Er brachte die Nachricht vom Tod des Vaters in Deutschland.

 

35:38             

Das Berner Haus ist Schauplatz des Romans „Roßhalde“. Er schildert das Auseinanderbrechen einer Ehe so definitiv, es konnte kein Zweifel sein, daß auch Hesses Ehe vorüber war.

 

36:47             

Porträt von Emil Sinclair, 1919. Emil Sinclair ist Hermann Hesse. Das Pseudonym hatte Hesse für einige seiner politischen Artikel benutzt. Nun erscheint der Roman „Demian“ unter dem Namen Sinclair. Hingeschrieben im Jahre 17, in zwei Monaten. Emil Sinclair, behauptete Hesse, sei ein junger Kriegsheimkehrer, der auf den Tod niederliegt und ihm sein Manuskript anvertraut hat. Demian – Dämon. Eine Reise in die Psyche. Sie beginnt, wie Hesses Leben, in einer süddeutschen Kleinstadt und endet, wie Thomas Manns Zauberberg, im Weltkrieg.

 

37:50             

Von 1919 an lebte Hermann Hesse in diesem Zauberschlösschen in Montagnola im Tessin. Seine Wohnung war damals nicht so elegant wie heute. Der Balkon ist noch da, auf dem der Maler Klingsor am Anfang von Hesses Erzählung „Klingsors letzter Sommer“ stand.

 

38:09             

Gemälde von Hans Purrmann.

 

38:12             

Hier war Hesse Klingsor, der das Dasein genießt und bis zur Neige ausschöpft. Von seinem Balkon hatte er eine wundervolle Aussicht über den Luganer See.

 

38:26             

Er war arm damals. Der Erfolg des Demian brachte ihm nichts ein. Die letzte Rate aus dem Verkauf seines Hauses in Gaienhofen ergab nach Umtausch 37 Schweizer Franken. Inflation in Deutschland.

 

 

39:16             

Neben Hesses Casa Camuzzi ist heute ein kleines Museum.

 

39:24             

Manchmal finden Lesungen statt, wie hier, auf deutsch und italienisch.

 

39:35             

Seine Schreibmaschine, darin ein kleines Stück aus seinem letzten Roman „Das Glasperlenspiel“.

 

39:49             

Einige seiner Aquarelle – er hatte zu malen begonnen, hauptsächlich um Ruhe zu finden.

 

40:00             

Die Gegend bei Lugano ist heute Hesse-Land. Er hatte einen Ort gefunden, den er nicht wieder aufgab.

 

40:17             

Bei einer Wanderung mit Freunden begegnet Hesse Ruth Wenger.

 

40:32             

Aber er sah, Klingsor-Hesse, sofort, daß auch hier kein dauerndes Glück zu erhoffen war:

 

41:19             

1972 verfilmte Conrad Rooks, ein Beatnik der ersten Stunde aus New York, Hesses Roman Siddharta in Indien.

 

41:32             

Siddharta verlässt die Eltern, um Bettelmönch zu werden, begegnet Buddha und verläßt ihn, um eine Kurtisane zu lieben, verlässt sie, um bei dem Fährmann Vasuveda zu leben und dem Fluß zu lauschen. Eine lange Reise zu sich selbst. Von Siddharta glauben heute viele, daß es ein alter indischer Mythos sei, nicht die Erfindung eines Europäers. Eines Europäers, der immer nur von sich selbst schrieb.

 

42:03             

Dies ist nicht Indien. Es ist der Garten hinter Hesses Casa Camuzzi in Montagnola. Er wird selten betreten heutzutage, aber Hesse nutzte und liebte ihn, wenngleich er hier nur Gast war, nicht Gärtner. Siddharta ist nicht in Indien entstanden, sondern hier. Dies ist Siddhartas Indien.

 

42:28             

Siddharta war für Hesse ein sehr europäisches Buch, aber für viele seiner Leser wurde es zum Reisebegleiter beim Indien-Trip und in eine psychedelische Nirwana-Welt.

 

42:41             

Theodore Ziolkowski ist ein Professor aus Princeton. Er hat das erste amerikanische Buch über Hesse geschrieben, zu Beginn der sechziger Jahre, und dann fasziniert zugesehen, wie aus dem entlegenen deutschen Dichter ein amerikanischer Popstar und Guru wurde.

 

44:13             

Basel. Die Stadt hat eine besondere Rolle in Hesses Leben. Hier wurde er zum Schriftsteller, fand einen Platz in der Intellektuellen- und Künstlergesellschaft.

 

44:28             

Im November 23 bezieht er ein Zimmer im Hotel Krafft; seine Freundin Ruth Wenger, die ebenfalls hier wohnt, hat es für ihn gemietet.

 

44:45             

Hesse mit Braut, Schwiegereltern und einer Freundin in des Schwiegervaters großer Karre. Ein bißchen eingeklemmt. Ruths Vater drängte auf Heirat. Und Hesse fühlte sich verpflichtet.

 

45:03             

Kurz nach der Hochzeit versucht Hesse, sich in seinem Hotelzimmer mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben zu nehmen. Der Autor des Siddharta. Der Name Siddharta, Buddhas Vorname übrigens, bedeutet: „Der sein Ziel erreicht hat“. Hesse noch nicht. Die Ehe mit Ruth dauerte drei Jahre. Man sah sich nicht mehr so oft. 1927 reichte Ruth die Scheidung ein.

 

45:40             

Ein unscheinbares Haus in einer unscheinbaren Straße Basels. Hier ist selten mal jemand aus der Fangemeinde hergekommen. Oben, unter dem Dach, hatte Hesse bei einer Witwe zwei Zimmerchen gemietet, im Winter 1924. Hier erfand Hesse, der gerade noch Klingsor gewesen war, zuvor Sinclair, sich wiederum neu – als Steppenwolf.

 

46:33             

Steppenwolf-Verfilmung von Fred Haines, mit Max von Sydow, 1974.

 

46:52             

Das Treppenhaus, in dem Hesse-Steppenwolf manchmal saß und die saubere Luft einer durch und durch geordneten Welt witterte, von der er sich ganz ausgeschlossen sah.

 

47:22             

Aber Hesses Steppenwolf reißt keine Lämmer. Er ist ein harmloser Shimmy-Tänzer und Rotwein-Trinker. Gelegentlich Damenbesuche auf der Mansarde. Sein Aquarell mit dem Titel „Maskenball“

 

47:45             

Dieser Steppenwolf aber sollte vierzig Jahre später in den USA so einschlagen, daß Literaturwissenschaftler eine „Germanisierung der Jugend“ kommen sahen. Das war negativ gemeint natürlich. Nie wieder hat ein Autor deutscher Sprache solche Erfolge in der Neuen Welt gehabt wie „Saint Hesse among the Hippies“. San Francisco 1967. Die Begeisterung der Hippies für Hesse ist oft als Mißverständnis erklärt worden.

 

49:17             

Nichts habe man aus dem letzten Krieg gelernt, hatte Hesse im Steppenwolf geschrieben.

 

49:55             

Hesse 1933 mit seinem ältesten Sohn Bruno und seiner dritten Frau Ninon. Er lebte mit ihr in einem eigenen Haus mit weitläufigem Garten in Montagnola.

 

50:09             

Ninon war 18 Jahre jünger als Hesse, Leserin seit dem Peter Camenzind, und sie blieb und schützte ihn bis an sein Lebensende.

 

50:19             

12 Jahre schrieb Hesse an einem Roman, der ihn in das Schulkloster seiner Jugend zurückführte. Das Glasperlenspiel war sein letztes großes Werk. Entwurf einer auf den Geist, nicht die Macht gegründeten Gegenwelt. In Deutschland konnte das Buch nicht erscheinen. Nach dem Krieg trug es seinem Autor den Nobelpreis ein.

 

51:19             

Ein Grabstein auf dem Friedhof von Sant´Abbondio bei Montagnola. Hesse starb im August 1962. Jede neue Generation, die sich finden und definieren muß, entdeckt ihn wieder. Sein Stück wird noch gespielt.