Landschaft des Heiligen. Assisi, Italien, Kommentartext von Andreas Christoph Schmidt

Wer einmal in Italien war, in einer der alten Städte, im Sommer, abends auf der Piazza, der kennt das Gefühl. Diese Ahnung von Glück, das in alten Mauern zu nisten scheint. Assisi in Umbrien ist eine sehr alte Stadt. Den Tempel an der Piazza haben die Römer hinterlassen. Die Grotesken im Gewölbe gegenüber sind dagegen läppisch jung. Sie zierten einst den Eingang zum städtischen Freudenhaus, 16. Jahrhundert. Goethe kam tagsüber nach Assisi, im Oktober 1786, und er wollte nichts sehen außer dem Minervatempel: „Und siehe, das löblichste Werk stand vor meinen Augen, das erste vollständige Denkmal der alten Zeit, das ich erblickte. Was sich durch die Beschauung dieses Werks in mir entwickelt, ist nicht auszusprechen und wird ewige Früchte bringen.“ Den Tempel nehmen heute Reisende nur am Rande wahr.

Was Goethe aber links liegen ließ, und zwar mit Abneigung, wie er betont, ist Hauptattraktion der Stadt. Nicht nur für Pilger, auch für Kunstreisende: Die Basilika San Francesco, in deren Krypta die Gebeine des Hl. Franz von Assisi verwahrt werden. San Francesco hat zwei Stockwerke, Ober- und Unterkirche; sie sind beide völlig mit Fresken des 13. und 14. Jahrhunderts ausgemalt. Eins der frühesten Porträts des Hl. Franz. Er steht neben der thronenden Madonna des florentinischen Meisters Cimabue – dies ist noch ganz die statuarische Malerei der Gotik. Direkt darüber eine biblische Szene Giottos, der Cimabues Schüler war. Dies ist bereits die perspektivische Malerei der Renaissance. Nirgends liegen Gotik und Renaissance näher beieinander als in der Unterkirche von San Francesco in Assisi. Pietro Lorenzettis große Kreuzigungsszene. Mit der Perspektive kam die Lebensechtheit und mit ihr die körperliche Schönheit. Dies sind Gesichter der Renaissance. Madonna der Sonnenuntergänge, ebenfalls von Lorenzetti. Mit dem Daumen weist die Gottesmutter auf den Hl. Franz, der die Wundmale des Gekreuzigten trägt. Was soll diese Geste bedeuten? „Der da“, scheint Maria dem Kind zu sagen, „bist Du selbst. Er ist der zweite Christus. Der Erlöser.“ Höher konnte man nicht greifen. Ein Bettelbruder als Messias. An den Wänden der Oberkirche schildern Giotto zugeschriebene Fresken Szenen aus dem Leben des Heiligen. Das bekannteste zeigt die Vogelpredigt. Sie hat wirklich stattgefunden. Hier auf einem Felde bei Bevagna, in Sichtweite Assisis.

Franz kam 1181 oder 82 zur Welt, in Assisi, als Sohn eines schwerreichen Kaufmanns. Im Dom S. Rufino wurde er getauft, wie auch einige Zeit nach ihm Friedrich II., der spätere Stauferkaiser. Sein Taufname war Giovanni. Francesco, Französchen, der Kosename, bei dem ihn später, vom Kreuz herab, auch Christus anreden sollte. In jener Zeit kamen die freien Städte auf, das Bürgertum, der Wohlstand. Assisi unterstand mal dem Papst, mal dem Deutschen Kaiser, dessen Statthalter 1198 aus der Burg über der Stadt vertrieben wurde. Lebhafte Zeiten waren das, Zeiten sozialen Umbruchs, und als wären sie nicht lebhaft genug, führten die Städte auch noch Krieg untereinander. Assisi zog 1202 zu Feld gegen Perugia, das liegt gerade 30 km entfernt. Franziskus geriet dabei in Gefangenschaft und saß ein Jahr lang fest in der Nachbarstadt. Was er aber frohen Mutes ertragen haben soll. Danach zog es ihn in die Welt hinaus. Er wollte Ritter werden, obwohl er nicht adlig war, nur reich.

Er machte sich auf den Weg nach Apulien, kam aber nicht weit. Schon in Spoleto, das ist gerade jenseits der Hügel, gemahnte ihn ein Traum zur Umkehr.

Die schöne umbrische Landschaft ist wie die Bühne eines Theaters. Ein Tal, das die Welt ist. Ein fruchtbares Tal, das der Kirche viele Heilige geschenkt hat. Für Francesco kam der Tag im Jahr 1206.

San Damiano ist ein kleines Klösterchen unterhalb Assisis. Damals war es wohl sehr baufällig. Als Franz eintrat und betete, vernahm er vom Kreuz die Stimme Christi: „Franziskus, geh und baue mein Haus wieder auf, das, wie du siehst, ganz und gar in Verfall gerät.“ Die Szene von San Damiano in Giottos Fresko. Francesco nahm die Aufforderung wörtlich, er beschaffte Geld zum Wiederaufbau des Klosters, und zwar, indem er es seinem Vater stahl. Dieser, ins Herz getroffen, verklagte den Sohn vor dem Bischof. So enttäuscht war er von seinem Französchen. Francesco aber riss sich die Kleider vom Leib und warf sie ihm hin. Nichts wollte er mehr haben, was seinem Vater gehörte. „Du bist nicht mehr mein Vater, mein Vater ist der da oben.“
Und die Kirche? Die schon manch anderen religiösen Hitzkopf verketzert hatte? Bedeckte Franzens Blöße und gab ihm ihren Segen. In das Klösterchen von San Damiano zog 1212 eine Gemeinschaft frommer Frauen um die später heiliggesprochene Klara von Assisi. Sie lebten hier in strenger Armut und Abgeschiedenheit nach der Regel des Hl. Franz. Auf Klara und ihre Schwester Agnes geht der Orden der Klarissen zurück. Eine Orchidee bezeichnet den Platz im Refektorium, den Klara 40 Jahre lang innehatte.

Santa Maria degli Angeli, zu Fuße des am Hang gelegenen Assisi, ist – wie auch San Francesco in Assisi selbst – eine Basilica Maior, das heißt eine der sieben ranghöchsten katholischen Kirchen. Sie wölbt sich mächtig über einer kleinen alten Kapelle, der Porziunkula, bei der Franz sich oft aufhielt und in deren Nähe er 1226 starb. 1208 hatte er hier eine Predigt über die Aussendung der Jünger Jesu gehört: „Gebt alles den Armen. Nehmt nichts mit auf den Weg.“ Das war der eigentliche Beginn der franziskanischen Bewegung. Franz zog seine Schuhe aus und ging von nun an in grober Kutte, um die er einen Strick gebunden hatte. Bald schlossen sich ihm erste Gefährten an. „Dies ist die Pforte zum ewigen Leben“, steht über dem Eingang der Kapelle.

Eine kleine Kapelle in einem großen Dom. Kein schlechtes Bild an sich für die Franziskaner. Eine Kirche in der Kirche. Ganz verdauen, ganz sich einverleiben konnte Rom den Hl. Franz und seine Anhänger nicht. Die franziskanische Bewegung: Bald nach dem Tod des Gründers gespalten, unterwandert, blieb sie doch immer das etwas andere in der katholischen Glaubenswelt.