Schätze Brandenburgs, Kommentartexte

Schätze Brandenburgs, Schloss Sanssouci, Kommentartext

10:00:41          In Preußen wachsen Trauben und Feigen.

00:45               Nicht überall, versteht sich, aber am Weinberg Friedrichs des Großen.

00:52               La vigne, Weinberg, so war der ursprüngliche Name; Sanssouci, Ohne Sorge,

                        hieß es erst später.

01:02               Ein Weinberg und ein Obstgarten, denn er liebte Obst, und in einem Weinberg 

                        zu leben, fand er schön.

01:12               Friedrichs Sommerschlösschen Sanssouci ist heute die größte Attraktion

                        Potsdams. Preußens, wenn es das noch gäbe.

01:22               Es ist eigentlich das Herz Preußens.

01:27               Kein Vergleich mit Versailles, natürlich. Dort gibt es ca. 2000 Säle und Zimmer,

                        hier nur 11.

01:39               Dort hatte es einen „Sonnenkönig“ gegeben, und hier gab es einen

                        Landesherrn, der sich Philosoph nannte.

01:46               Friedrich hätte es nicht klüger anfangen können: Sanssouci war der ideale Ort  

                        für einen aufgeklärten Herrscher.

01:56               Eine Windmühle stand hier schon, als der König zu bauen begann. Er fand, sie

                         sei dem Schloss eine Zierde, ließ sie stehen, und sie wurde zum Symbol seiner                          Volksnähe. Die Mühle gehört heute fest zum Bild des Alten Fritzen.

02:17               Sanssouci entstand nach den ersten beiden Schlesischen Kriegen, in die

                        Friedrich sich als junger König stürzte. Es ist das eigenwillige Gebäude eines

                        eigenwilligen Bauherren. Alles bestimmte er selbst. Er zeichnete nicht nur

                        gegen – wie hier – sondern entwarf selbst, wenigstens im Großen.

02:44               Ein Entwurf für einen Teil des Parks z. B., – von seiner Hand – sieht so aus. –

02:52               Und so im fertigen Plan.

03:01               Kummer bereitete dem Architekten Knobelsdorff die von Friedrich strikt

                        verlangte Ebenerdigkeit des Schlosses. Drei Stufen nur von innen nach außen;

                        es ist beinah barrierefrei. Dafür aber versinkt es geradezu hinter dem

                        Weinberg, anstatt ihn zu krönen.

03:20               Über das kleinste Detail dieses an bemerkenswerten Details reichen

                        Lustschlosses wird seit jeher gerätselt: Das Komma in seinem Namen.

03:40               Die meisten Theorien über das Komma – und auch den nachfolgenden Punkt –                         haben mit Geheimschriften zu tun, an denen Friedrich großes Interesse hatte.

03:52               Dinge geheim halten, seine Absichten und Pläne für sich behalten, das

                        entsprach seinem Wesen.
03:59               „Kann er schweigen?“ – soll Friedrich 1740 gefragt haben, als einem seiner                         Generäle schwante, „dass die Deichsel wohl nach Schlesien stehe“.

                        „Unbedingt!“ erwiderte der. „Ich auch,“ darauf der junge König.

04:16               Die Kunst der Tarnung und Verstellung hatte Friedrich wohl im Konflikt mit

                        seinem Vater erlernt. Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, hatte einst die

                        Todesstrafe für seinen Sohn gefordert, wegen Fahnenflucht, und ließ ihn

                        später ausspionieren, als sei er Staatsfeind und nicht Thronfolger.

04:36               Einer der zahlreichen Lösungsvorschläge für die Kommafrage bezieht sich auf                         diesen Vater-Sohn-Konflikt:

04:46               In einer Geheimschrift, der „geheimen Polizeischrift“ des Grafen von Vergennes,

                        der eine zeitlang französischer Außenminister war und mit Friedrich im

                        Briefwechsel stand, werden Satzzeichen hinter Namen gesetzt, um unbemerkt

                        die Religionszugehörigkeit des Trägers preiszugeben. Das Komma steht für

                        einen Calvinisten, der Punkt für einen Deisten. Also könnte es heißen:

                        Ohne den Calvinisten (der Soldatenkönig war ein streng frommer Mann) sorglos

                        als Deist.

05:28               Ein Deist ist jemand, der nicht glaubt, daß Gott wundertätig und ordnend in das                         Weltgeschehen eingreift, und ein Abgott dieser „Glaubensrichtung“ war

                        François Marie Arouet, Dichter, Philosoph, scharfzüngiger Spötter – der erste

                        Denker der europäischen Aufklärung, das hellste Licht seiner Epoche, Voltaire.

                        Als Kronprinz himmelte Friedrich ihn an, und als König lud er ihn auf sein

                        Schloss.

06:09               Legendär ist Friedrichs kleine, höchst bissige Tafelrunde, die er gewöhnlich

                        hier, im ovalen Marmorsaal, unter der Kuppel versammelte. Seiner Gemahlin

                        hatte er das Schloss Schönhausen bei Berlin zugewiesen, Friedrich der Große

                        zog es vor „sans femmes“, ohne Frauen in Sanssouci zu leben. Jedenfalls ohne

                        lebende Frauen.

06:33               Adolph Menzel, der Friedrich hundert Jahre später in zahllosen Bildern

                        verherrlichte, hielt auch die die Tafelrunde in einem vielgerühmten Gemälde

                        fest.

06:47               Wiederum hundert Jahre später, im Frühjahr 1945, verschwand es. Spurlos,

                        wie so vieles andere.

07:04               Voltaire blieb fast drei Jahre an Friedrichs Hof, und eines der vier Gästezimmer

                         – das eigentümlichste, seines Blumen- und Tierschmucks wegen – heißt heute                          Voltaire-Zimmer. Auch steht eine kleine Büste dort. Er hat dieses Zimmer aber

                        wohl nie bewohnt.

07:27               Sie trennten sich im Streit, leider. Es hatte mit höfischen Intrigen zu tun, mit                         Voltaires unangenehmen Geldgeschäften, Friedrichs immer zügelloser

                        werdenden Zynismen und – wie modern! – mit dem Urheberrecht. Voltaire hatte

                        bei seiner Abreise Gedichte Friedrichs mitgenommen und vermutlich vor, sie in

                        Frankreich auf eigene Rechnung zu publizieren.

08:05               An den Marmorsaal schließt, jenseits der Gästezimmer, die Königswohnung an;                         nach einem kleinen Audienzsaal betritt man das Konzertzimmer, das als einer

                        der schönsten Räume des friderizianischen Rokoko gilt.

08:26               Hinter Glas eine der Flöten Friedrich des Großen. Er spielte täglich.

08:36               Flöte spielen war eins der Dinge, die ihm sein Vater verboten hatte.

                        Lateinlernen auch.

08:48               Ganz Sanssouci ist wie eine Herausforderung des toten Soldatenkönigs. Das                         Gegenteil von Tabakkollegium, Bierhumpen und Sittenstrenge. Wie dem Alten

                        wohl das Teehaus gefallen hätte?

09:06               Welch eine Mode war doch die Chinoiserie! Während das Reich der Mitte sich

                        nicht im geringsten für Europa interessierte, schaute Europa begierig dorthin,

                        aber durch ein seltsames Fernglas. In ihm verschwammen die Sorglosigkeit des

                        Rokoko, die Überheblichkeit von Kolonialherren und eine rauschhafte

                        Bewunderung für das ferne Riesenreich.

09:35               Angeblich war dort alles besser, der Staat war vernünftiger eingerichtet; es                         herrschte eine China-Begeisterung damals. Beinahe wie im letzten Jahrhundert,

                        `68, während der Studentenrevolte. Und Voltaire gehörte zu den

                        Propagandisten dieses frühen China-Kults.

10:01               Das Teehaus entstand erst nach seiner Abreise. Auch Friedrich war damals

                        wenig zugegen. Der Siebenjährige Krieg hielt ihn fern. Die Maler und Bildhauer

                        hatten nie einen Chinesen gesehen, daher die europäischen Langnasen.

10:56               Glücklich wer hier aufwächst! Es gibt Menschen, die sagen: Was Schönheit ist,                         habe ich im Park von Sanssouci gelernt.

11:13               Wenn man die Enfilade, die Zimmerflucht der Königswohnung durchschreitet,

                        hat man immer den Sessel im Blick, in dem Friedrich, bei Lebzeiten schon „der 

                        Große“, 1786 starb.

11:28               Nach einem Leben, das dann doch mehr vom Krieg geprägt war, als von den

                        Ideen der Aufklärung.

11:36               Er war mürrisch geworden und zog den Umgang mit seinen Hunden dem der                         Menschen vor.

11:43               Es ist, als seien die großen Hoffnungen, mit denen er sein Amt antrat, trotz

                        aller Siege und Erfolge, trotz allen Weltruhms, den er sehr begehrt hatte,

                        unerfüllt geblieben.

11:59               Auf diesem Bild ist ein Szene dargestellt, in der Friedrich dem Marquis d’Argens

                        den Ort zeigt, wo er einmal beerdigt sein will. Unter der Figurengruppe der

                        Flora, dem Sinnbild des blühenden Lebens, wo er auch seine Hunde bestatten

                        ließ, hatte er sich eine Gruft bauen lassen. „Quand je serai la“, sagte er, „ je

                        serai sans souci!“ – Wenn ich erst hier bin, werde ich ohne Sorgen sein.

12:26               Er ist erst seit 1991 hier. Sein Neffe und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. jedoch,

                        der unter Friedrich keine ganz leichte Zeit gehabt hatte, verweigerte ihm den

                        letzten Willen und ließ ihn in der Garnisonkirche in Potsdam begraben. Neben

                        dem Vater.

12:51               Die Bronze des Betenden Knaben, eine antike Skulptur aus Rhodos, hatte

                        Friedrich so aufstellen lassen, dass er sie sah, wenn er von seinem Arbeitsplatz

                        in der Bibliothek aufschaute.

13:05               Werfen wir noch einen Blick in die Bibliothek. Ein Film ohne sie ist kein Film über                         Sanssouci.

13:17               Im äußersten Winkel des Schlosses gelegen und nur durch einen engen Gang

                        von Friedrichs Schlafzimmer aus zu erreichen, ist sie der privateste seiner

                        Räume.

13:32               Niemand außer ihm betrat ihn, und noch heute dürfen Touristen nur vom Gang

                        aus hineinschauen.

13:43               Hier war Friedrich der Große ganz, der er sein wollte: Philosoph unter

                        Philosophen.

14:04               Auf dem Deckel tragen alle Werke, die er sich in feines Ziegenleder hatte

                        binden lassen, ein „V“. Für vigne, Weinberg.

14:18               Denn „Weinberg“, das war doch der eigentliche Name des Schlosses, das wir

                        nur als Sanssouci, Ohne Sorge, kennen. // 14:26

 

 

Schätze Brandenburgs, Die Sacrower Heilandskirche, Kommentartext

10:00:38          Als Friedrich-Wilhelm IV. noch Kronprinz war, hatte er einen Traum.

00:52               Es war ein Traum, den viele träumten in seiner Zeit, vor allem in Deutschland, 

                        und er hieß: Italien.

01:14               Die Befreiungskriege gegen Napoleons Armeen brachten ihn 1814 nach Paris,

                        und von dort nach England, aber nach Italien ließ ihn sein Vater nicht, der 

                        König, während tausend andere dorthin reisten.

01:31               C’est moi – das bin ich. Die älteste erhaltene Zeichnung des späteren

                        Preußenkönigs. Da war er zehn. Friedrich Wilhelm zeichnete gern. Er zeichnete

                        bei jeder Gelegenheit und auf jedem Blatt Papier, das ihm unter die Hand kam.

                        Er zeichnete während wichtiger Beratungen, bei lebhaftem Gespräch und in

                        Abendgesellschaft. Manchmal malte er sogar in die Luft, und viele wunderten

                        sich darüber und warfen einander Blicke zu.

02:03               Der Kronprinz erklärte sich die Welt, indem er zeichnete.

02:10               Er zeichnete Italien, das er nie gesehen hatte. Und ein Schloss in der Höhe,

                        das er „Belriguardo“ nannte und „Mein Luftschloss“.

02:20               Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten verwahrt auf 3200 denkbar

                        unterschiedlichsten Blättern, Zetteln, Speisekarten 7000 Zeichnungen Friedrich 

                        Wilhelm des Vierten.

02:50               Wer die Bilder der preußischen Herrscher ansieht, wird bei einem innehalten:

                        Friedrich Wilhelm IV. ist der erste Preußenkönig, von dem es ein Foto gibt. Eine

                        Daguerreotypie, aufgenommen 1842. Dies ist kein Herrscherbildnis mehr – ein

                        Mann in Galauniform. 

03:16               Mit den Fotos kündigt sich die Moderne an. Und das Königtum hat seine

                        Selbstverständlichkeit verloren.

03:26               In das achte Jahr seiner Regierung fiel die Revolution von 1848. So hielt er fest,

                        was sie für ihn bedeutete:

03:39               Der Gestürzte, das ist er selbst. Er hat die Brücke nicht erreicht, über die er in

                        die ideale Landschaft hätte gehen können.

03:53               Friedrich-Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Thron“, der Monarch, der „mehr

                        Gemüth hatte, als der Staat vertragen kann“.

04:02               Seine Vorgänger hatten an der Havel ein preußisches Arkadien schaffen wollen,

                        ein Traumland.

04:17               Er war nicht der Typ, irgendetwas davon anzurühren. Aber hinzuzufügen. Kaum

                        war er König, 1840, kaufte er das Gut Sacrow.

04:30               „…aus der Umgebung von Berlin und Potsdam könnte ich nach und nach einen

                        Garten machen; ich kann vielleicht noch zwanzig Jahre leben, in solch einem

                        Zeitraum kann man schon etwas vor sich bringen.“ [Persius_tageb_11]

04:45               „Verschönerungsplan vom Park zu Sacrow“.

05:01               Aber der König liebte Sacrow nicht nur seiner Schönheit wegen.

05:09               Im Gutshaus hatte Friedrich de la Motte Fouqué, der romantische Dichter,

                        glückliche Jahre seiner Kindheit verbracht, und sollte man nicht etwa

                        annehmen, daß es dieser Ort war, zwischen Fluß und Seen, an dem ihm die

                        Seejungfrau Undine, die er berühmt machte und die ihn unsterblich machte,

                        erstmals erschien?

05:36               Der König wollte das Gutshaus für Fouqué, der sich nach Halle an der Saale

                        zurückgezogen hatte, herrichten lassen.

05:43               Ideallandschaft mit Dichter.

05:47               Fouqué zog auch wirklich nach Berlin zu einer Rückkehr nach Sacrow kam es

                        jedoch nicht. Er starb 1843, und nichts weist darauf hin, daß er den Ort seiner

                        Kindheit wiedersah. [s. FWIV, Künstler… 1995, S. 375]

06:03               Diese kleine, zarte Bleistiftzeichnung Friedrich Wilhelms gilt als erster               

                        Entwurf zur Heilandskirche von Sacrow.

                        Ludwig Persius, des Königs Architekt, hielt am 9. November 1840 einen Auftrag

                        preußisch-knapp in seinem Tagebuch fest:

                        „Ankauf von Sacrow […] Die Kirche soll in italienischem Styl mit einem Campanile

                        daneben erbaut werden.“ [Tageb. S. 6]

06:28               Manche Kunsthistoriker neigen dazu, dem König sein Talent ein wenig

                        herunterzuschreiben und den bescheidenen Architekten mehr ins Licht zu

                        rücken.

06:38               Vermutlich haben sie recht. Der Fachmann Persius wird seinem Bauherren von

                        Gottes Gnaden so manches abgerungen haben.

                        Der Vorplatz mit seinen beiden halbrunden Erweiterungen korrespondiert mit

                        dem Gebäude der Kirche, die wie ein Schiff in die Havel ragtz und auf eichenen

                        Pfosten steht.

07:10               Sie ist ein ganz schlichtes Langhaus mit halbrunder Apsis. Durch den

                        umlaufenden offenen Säulengang aber wirkt sie wie eine dreischiffige Basilika.

07:26               Praktisch ist das nicht, wenngleich schön. Die Laune eines Königs eben.

07:53               Dies ist nicht einfach Nachahmung frühchristlicher Baukunst. Es ist eine 

                        Anverwandlung an die preußische Tradition und ihre Bereicherung.

08:18               Campanile heißt Glockenturm. Nach italienischer Bauart steht er in Sacrow frei

                        auf dem Vorplatz.

08:30               Eine Gedenktafel erinnert daran, wie er einmal zweckentfremdet wurde:

08:38               Der Radiopioner Adolf Slaby, Professor für Elektrotechnik an der Technischen

                        Hochschule Charlottenburg, heute TU Berlin, baute hier 1897 die erste 

                        Antennenanlage Deutschlands.

08:58               Ihre Funksignale wurden anderthalb Kilometer von hier, am Ufer der

                        Potsdamer Vorstadt empfangen.                       

09:15               Der Bau der Berliner Mauer 1961 hätte fast das Ende der Sacrower

                        Heilandskirche bedeutet.

09:27               Sie lag auf dem Gebiet der DDR, im Sperrgebiet, vom Westen sichtbar, aber

                        unerreichbar. Vom Osten sowieso. Der Stacheldraht, später die Mauer, verliefen

                        ja direkt hinter ihr.

09:42               Dennoch schlugen Vandalen den Innenraum zusammen. Sie kamen im Auftrag 

                        der Partei, die niemals irrt.

10:00               Dreißig Jahre stand sie so, dem Verfall preisgegeben, und man gewöhnte sich

                        daran, wie man sich an viele seltsame Dinge gewöhnte. Am Ende brach nicht 

                        sie zusammen, sondern die DDR.

10:24               Der Weihnachsgottesdienst, Heiligabend 1989, gehört zu den schönen

                        Momenten der deutschen Wiedervereinigung.

10:40               Heute kümmert sich ein Verein mit viel Hingabe um den Erhalt der Kirche; die

                        Sacrower Heilandskirche hat viele Freunde.

10:55               Es hat jedoch wohl schon so mancher, der sie betrat, …
                         … einen Anflug von Enttäuschung niederkämpfen müssen.

11:06               Weil alles so sauber und neu aussieht?

11:09               Oder weil die Nüchternheit in der protestantischen Kirche immer die Oberhand

                        behält?

11:17               Weil sie eben nicht dreischiffig ist, wie man meint, wenn man sich ihr nähert.

                        Sie war ganz auf ihre Außenwirkung angelegt, ein point de vue im preußischen 

                        Arkadien. Eine richtige Dorfkirche war sie nie, und die Hingabe, mit der ihr zu

                        schmaler, zu hoher Innenraum gestaltet wurde, konnte nichts daran ändern.

11:38               Apsisgemälde von Carl Begas. Es ist al fresco gemalt, nach alter Tradition auf

                        den frischen Putz. Darum ist es so gut erhalten.

11:59               Die Sternchen unter dem Dach erinnern an Schinkels berühmtes Bühnenbild zur

                        Zauberflöte.

12:18               Etwas abseits steht eine steinerne Rundbank, eine Exedra.

12:26               Ob im Park von Sanssouci, am Ruinenberg, in Glienicke – immer wieder findet

                        man diese „Römischen Bänke“, sie sind Standardmobiliar im preußischen

                        Landschaftsgarten.

12:37               Ihr aller Vorbild steht in Pompeji, am Grabe der Priesterin Mamia.

12:45               Denn Friedrich Wilhelm reiste natürlich doch nach Italien. [Da war er aber schon

                         ein erwachsener Mann und verheiratet.]

12:53               Aus Pompeji schrieb er an seine Gattin: „Auf der gewissen Bank am Thor (über

                        die ich, wie Du weißt, schon lange den Verstand verloren habe) setzten wir uns

                        lange.“ [zit. Künstler u. König 139]

13:15               Die Sacrower Heilandskirche erlebte stürmischen Andrang, solange der König

                        sie allsonntäglich besuchte. Die höfische Gesellschaft kam mit dem Boot zum

                        Gottesdienst.

13:30               Er aber hatte längst anderes im Sinn:

13:38               Ein Brief, adressiert an „Seine Majestät, den König zu Berlin“, …
                        … bekritzelt und bemalt, wie jedes Blatt, das ihm unter die Hand kam. Darauf

                        der Entwurf zu einem neuen Bauprojekt, der Friedenskirche im Park von

                        Sanssouci./13:55

14:06               Der Architekt Persius starb darüber, seinem sakralen Hauptwerk. Der König

                        selbst, Friedrich Wilhelm der Vierte, Friedrich Wilhelm der Zeichner, fand hier

                        sein Grab.//14:18

 

 

Schätze Brandenburgs, Schloss Rheinsberg, Kommentartext

10:00:30         Fontane begann seinen Besuch Rheinsbergs im Ratskeller. Unter den

                       Kastanienbäumen vor dem Ratskeller. Es gibt ihn heute noch und er war auch

                       damals kein Keller, sondern eine Landgaststätte.

00:44              Fontane war angetan von dem guten Wein, der beschwingten Tischgesellschaft,

                       und die Besichtigung von Kirche, Schloss und Ort fiel entsprechend wohlgemut

                       aus. Nachzulesen in seinen „Wanderungen“.
00:57              Um 1880, 20 Jahre später, kam ein Engländer, Hamilton mit Namen, in die Stadt.

01:07              Er fand den Ratskeller schmierig, die Leute hier unsauber und nicht geheuer, er

                       schildert bedrückende Tischmanieren und versuchte, sich abseits zu halten.

01:24              Was uns angeht, wir sind keine Restaurantkritiker. Die Häuserzeile am

                       Triangelplatz ist nur Fassade, hintenrum alles Platte. Es verdirbt ein wenig die

                       Stimmung.

01:45              Die Kirche.

01:54              Betritt man sie durch den seitlichen Anbau, trifft man sogleich auf die ganz alten

                       Herren von Rheinsberg, die Bredows.

02:03              Sie treten einem als Grabsteine entgegen. Der kalte Hauch der Alten Zeit.

02:26              Hinzubestattet hat, ein paar hundert Jahre später, der Preußenprinz Heinrich,

                       Bruder Friedrichs des Großen, seinen Violinisten Pitscher…           /02:33

02:36              … hinter einer Platte, die an eine Heizkörperverkleidung denken lässt.

02:42              Heinrich selbst hat dafür französische Verschen geschrieben: „Genie, d’Italie,

                       berceau, nouveau, flambeau, tombeau“. Kein Wort von Gott, natürlich.

02:59              Der Legende nach hatte der Teufel die Bredows aus dem Sack verloren, so

                       kamen sie ins Land. Zu fürstlicher Prachtentfaltung dürfte es wohl nie so recht

                       gekommen sein. Viel zu karg die Böden, und die zahlreichen Seen waren

                       angeblich zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits ausgefischt.

03:20              „Alle Besitzer Rheinsbergs, vom ersten bis zum letzten“, schrieb Andrew

                       Hamilton, „haben sich ihr Leben lang vergebens mit dem Problem abgemüht, ihr

                       Einkommen mit ihren Ausgaben in Einklang zu bringen.“

03:32              Man weiß übrigens gar nicht, wer dieser Andrew Hamilton war, der sich „Tourist“

                       nannte. Es gibt nichts von ihm, außer diesem Buch über Rheinsberg in zwei

                       Bänden, bei deren Lektüre man das Gefühl nicht los wird, dass sich hier jemand

                       hinter einem Pseudonym verbirgt.

03:51              Die Bredows verkauften Rheinsberg im Jahre 1618, gerade rechtzeitig, ehe die

                       Horden des Dreißigjährigen Kriegs alles zu verwüsten begannen. 1634 brennt

                       die Stadt nieder, 1638 kommt die Pest. Wie oft die Söldnerheere wüteten, ist

                       unbekannt.

04:14              Einmal floh der Geistliche mit den verbliebenen Bewohnern auf diese Insel, doch

                       auch dorthin wurden sie verfolgt und alle umgebracht.

04:27              Erstaunlich, dass immer wieder Menschen da waren, denen man neues Leid

                       zufügen konnte.

04:47              Schließlich wurde das entvölkerte Land mit französischen Protestanten,

                       Flüchtlingen besiedelt. Theodor Fontane, selbst Nachfahr von Hugenotten und

                       nicht weit von hier, in Neu-Ruppin geboren, schreibt von den Kolonisten, „die

                       berufen waren, ihre Loire-Heimat an dieser Stelle zu vergessen.“

05:21              Zurück in die Kirche. Auch im 18. Jahrhundert hatten Jungs Taschenmesser und

                       ritzten ihre Namen ins Geländer.

05:31              1737 erschien Friedrich Wilhelm I. unangekündigt im Gottesdienst. Der alte

                       Geistliche Johann Rossow erschrak so, dass er mit zitternder Stimme gerade

                       noch den Segen sprechen konnte. Und der König, der eine Predigt hatte hören

                       wollen, drohte ihm mit dem Stock. Schreibt Fontane. Und dass Rossow sich nicht

                       mehr erholt habe und an dem Schrecken gestorben sei.

06:00              So beliebt war der fromme Soldatenkönig.

06:09              Ob sich sein Sohn Friedrich, Kronprinz, über den Besuch des Alten so freute, wie

                       er vorgab? „Friderico tranquillitatem colenti“, – „Dem Friedrich, der der Ruhe

                       pflegt“ – die Inschrift über dem Tore soll Friedrich Wilhelm fürchterlich in Rage

                       gebracht haben. Müßiggang gehörte zu den Dingen, die er am wenigsten

                       verzieh. Und der Sohn schrieb ihn sich als Motto über sein Schloss.

06:36              „Wir amüsieren uns mit allerlei harmlosem Nichts und halten uns alles fern, was

                       uns das Leben unbehaglich machen und unser Vergnügen stören könnte.“

06:48              Hätte er gesagt: „Ich lese und schreibe ungemein viel, alles mit Blick auf meine

                       künftige Regentschaft“ – es wäre nicht weniger richtig gewesen.

07:02              Man könnte beinahe glauben, dass Friedrichs Rheinsberger Muße eher eine Art

                       Lauerstellung war. Eine heitere Tarnung seiner weitreichenden Ambitionen. Das

                       Versteckspiel, es passt in die Zeit und zum Charakter dieses künftigen

                       Potentaten, der niemandem je sein Herz öffnete.

07:49              Der Ballsaal, Schmuckstück des Rheinsberger Schlosses, wird restauriert. An

                       seiner Decke prangt ein stolzes Gemälde von Hofmaler Antoine Pesne. „Der

                       Morgen vertreibt die Nacht“. Jedermann verstand es als: Der leuchtende

                       Kronprinz vertreibt den finsteren Soldatenkönig; die Aufklärung tritt an die Stelle

                       des Pietismus, Heiterkeit an die der Frömmelei.

08:16              Als der Ballsaal fertig war, war Friedrich bereits König und hatte den

                       Rheinsberger Hof hinter sich gelassen. Bei erster Gelegenheit zog der

                       Aufgeklärte in den Krieg, gegen Österreich, dem er Schlesien entriß, und mit

                       diesem Überfall begann eine Epoche von Kriegen.

08:35              So enttäuschte der König die Erwartungen, die man in den Kronprinzen gesetzt

                       hatte. Preußen wurde kein Arkadien.

08:46              Wenn man das kleine Porträt des Kronprinzen genauer betrachtet, das sein

                       Baumeister und Weggefährte Knobelsdorff in der Rheinsberger Zeit malte,

                       erkennt man, daß Friedrich und die seinen schon früh wussten, wohin sein Weg

                       führte: ins Feldlager, in den Krieg.

09:12              Elisabeth Christine, die ihm von seinem Vater aufgezwungene Gattin. Entgegen

                       Friedrichs Neigung, sich nur mit geistreichen Männern zu umgeben, lebte er in

                       Rheinsberg mit ihr zusammen. Einmal schrieb er sogar, es könne sich ein 

                       Thronfolger ankündigen. Wenn das nicht nur Verstellung war. Teil der Charade. 

                       Elisabeth Christiness Bildnis zeigt eine begehrenswerte Frau, aber Friedrich soll

                       geweint haben, als er mit ihr die Ringe tauschte.

09:47              Wie ungerecht, dass sie es ausbaden musste! Sie blieb ungeschwängert,

                       ungeliebt, kritisch taxiert von Höflingen, wurde abgeschafft auf ihr Schloss

                       Schönhausen, war ein einziges Mal in Sanssouci, bezeichnete sich mit Dreißig als

                       Frau, deren Leben vorüber ist.
                       Bereits vor der Ehe hatte Friedrich gedroht, er werde die „verfluchte Prinzessin“

                       verstoßen, sobald er sein eigener Herr sei. Und nach den angeblich

                       harmonischen Jahren von Rheinsberg führte er diesen Vorsatz aus.

                       Prinzessinnen haben selten schöne Schicksale. 

10:40              Der Konflikt zwischen Vater und Sohn gehört zu den großen Stories Preußens.

10:55              Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig. Betrieb ein Tabakkollegium, gönnte sich

                       eine Garde „langer Kerls“, die er in ganz Europa teuer einkaufte, und unterhielt

                       eine gedrillte, schlagkräftige Armee, die er nie zum Einsatz brachte. „Betet zu

                       Gott,“ trug er seinem Sohn und Nachfolger auf, „und fanget niemals einen

                       ungerechten Krieg an.“

11:26              Nach Friedrichs Thronbesteigung zog sein Bruder Heinrich in Rheinsberg ein. Er

                       hat hier lange gelebt, sich alles anverwandelt, und eigentlich ist Rheinsberg ein

                       Heinrichsschloß. Wenn Friedrich hier gegen seinen Vater, den König, opponiert

                       hatte, so opponierte von nun an Heinrich gegen seinen Bruder, den König. Er

                       opponierte, dabei war er ihm so ähnlich. Er war ein ebensolcher Voltaire-Fan.

                       Und ebenso kalt gegen seine Gattin. Seine Geisteswelt war französisch, sein

                       Deutsch noch schlechter als das des Bruders. Er war ein kluger Feldherr,

                       vielleicht der beste seiner Epoche, und ein glänzender Diplomat. Als er einmal in

                       Paris war, sagte er:

12:07              „Während der einen Lebenshälfte wünschte ich, Paris zu sehen, während der

                       anderen werde ich mich dahin zurücksehnen.“

12:14              Ein schönes bonmot, eigentlich müssten die Franzosen ihn dafür mögen, aber

                       sie haben ihn vergessen. Die Deutschen ja auch. Armer Heinrich! Verblüht im

                       Schatten seines Bruders.

12:29              Die Abrechnung mit dem veröffentlichte Heinrich in Form eines Obelisken. Der

                       steht so am jenseitigen Seeufer, daß niemand ihn je übersehen kann. Gewidmet

                       ist er August Wilhelm, dem 1758 gestorbenen Bruder. Friedrich hatte ihm

                       militärisches Versagen vorgeworfen, und Heinrich baute ihm ein Ehrenmal. Ihm,

                       der an der Kränkung zu Grunde gegangen war, und einigen anderen Generalen

                       des Siebenjährigen Kriegs. Ein paar in Potsdam große Namen fehlen, und vor

                       allem fehlt – der König selbst.

13:04              „Aufmuckung war hier immer zu Hause, von Anfang an.“ So steht es in Fontanes

                       letztem großen Roman, Der Stechlin.

13:19              Im Park ließ Prinz Heinrich von Preußen sich eine kleine Pyramide als Grabmal

                       bauen. Als er starb, war bereits das 19. Jahrhundert angebrochen. Wie bei 

                       seinem Violinisten Pitscher, so auch hier französische Zeilen:
                       „Wanderer! Bedenke, daß nichts vollkommen ist auf Erden. Und war ich nicht

                       der beste aller Menschen. So doch auch keiner von den Bösen. Lob und Tadel

                       berühren den nicht mehr. Der in der Ewigkeit ruht.“
                       Kein Wort von Gott, natürlich.

 

 

Schätze Brandenburgs, Mehr Schein als Sein – Das Neue Palais Potsdam, Kommentartext

10:00:30        Er nannte sich „Der Philosoph von Sanssouci“ und betrieb das Staatshandwerk                        „angeblich“ nur ungern.

00:39              Als Politiker war er zynisch und untreu und führte Krieg auf gut Glück.

00:45              Allerdings hat er, eben doch Philosoph, seine Taten nicht beschönigt. Welcher                        Potentat hätte je ein Schloß bauen lassen, um dann zu sagen, das Ding sei

                       reine „Fanfaronnade“ – Prahlerei?

01:16              Prahlerei, weil Friedrich mit diesem Prachtbau – 200 Räume, vier Festsäle, ein                        Theater – zeigen wollte, daß Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg noch da

                       war. Mehr noch: daß Potsdam jetzt gleichauf war mit Petersburg, Paris, Wien

                       und London. Preußen, eine Großmacht in Europa. Dabei wäre Preußen doch

                       vermutlich zerhauen worden, wenn nicht in Rußland eine seiner Feindinnen,

                       Zarin Elisabeth plötzlich gestorben wäre. Sie war die letzte Herrscherin aus der

                       Romanow-Dynastie, und an ihre Stelle trat einer, der in Kiel geboren und ein

                       glühender Anhänger Friedrichs war. Peter III. war derart ein Fan des

                       Preußenkönigs, daß er die Seite wechselte und ein Bündnis schloß mit Friedrich

                       „dem Großen“. Auch das jedoch zeugt von Regierungskunst, daß Friedrich Fans

                       hatte an ausländischen Höfen.

02:09              „Wovon hangen doch die Angelegenheiten der Menschen ab.“

02:14              Friedrich am Ende seiner Geschichte des Siebenjährigen Krieges.

02:19              „So spielt das Glück; so spottet es der eitlen Klugheit der Menschen, und erhebt

                       die Hoffnungen der einen, um die Erwartungen der Andern zu stürzen!“

02:31              Zur Angeberei also und auch um die zahlreichen Angehörigen und Gäste                                unterzubringen, für die er in seinem „Weinberg-Lustschloss“ Sanssouci keinen

                       Platz hatte, ließ er 1763 ein neues Schloss bauen, übrigens hübsch weit weg,

                       ganz am entfernten Ende des Parks von Sanssouci.

02:40              Auf seiner – nennen wir es vorläufig Kuppel – stemmen drei Damen, der Welt

                       den Rücken zugewandt, die Preussenkrone hoch. Einem Hofgerücht zufolge

                       handelt es sich bei den drei Grazien um die Feindinnen im 7-jährigen Krieg,

                       denen Friedrich, wenn er sie schon nicht bezwungen, so doch immerhin

                       standgehalten hatte: Kaiserin Maria Theresia, die bereits erwähnte Zarin

                       Elisabeth und eine Frau, die die Phantasien der Epoche auf sich zog: Madame

                       Pompadour, Maitresse König Ludwigs XV.

04:19              Wir sehen die Damen eingerüstet – das Neue Palais ist ein schwieriger Palast,

                       hier wird immerzu gebaut und restauriert, und vieles ist nicht, was es zu sein

                       scheint. Die Kuppel, 55 m hoch, zum Beispiel, ist nur eine Scheinkuppel. Eine

                       echte, begehbare, mit einem Kuppelsaal darunter, das wäre zu teuer gewesen.

04:51              Daher nur eine Tonnenkonstruktion aus Balken, die auf das Dach aufgesetzt

                       wurde.

05:04              Man tut dem Großen Friedrich nicht unrecht, wenn man die bekannte preußische                        Losung „Mehr sein als scheinen!“ hier einmal umkehrt. Mehr Schein als Sein ist

                       die Parole dieses Prachtbaus. Und der Grund dafür war nicht die prekäre Lage                        Preußens nach dem Siebenjährigen Krieg.

05:29              Das Schloss war bereits vor dem Krieg geplant worden, und schon in der ersten                        Bauzeichnung von 1755 sehen wir die fragwürdige Kuppel.

05:39              Wenig später, 1756, kurz bevor der Krieg ausbrach, sind auch schon die drei                        Grazien da.

05:50              Das Neue Palais wird heute als besonderes Kleinod betrachtet, was es wohl vor                        allem der Tatsache verdankt, daß es von den Bomben des Zweiten Weltkriegs

                       und der Zerstörungswut der Nachkriegszeit, anders als die beiden

                       Stadtschlösser in Potsdam und Berlin, verschont blieb. Von Zeitgenossen und

                       späteren Kennern ist ihm nicht viel Gutes nachgesagt worden.

06:14              „Das Neue Palais – ganz aus Backsteinen von den grellsten Farben erbaut –

                       zeigte im Innern die größte, wenn auch nicht geschmackvollste Pracht.“

06:25              So urteilte der Schriftsteller Karl Eduard Vehse 1851 und ging noch bei seiner

                       Kritik dem Alten Fritzen auf den Leim. Greller Backstein – was hier leuchtet, ist

                       nicht Backstein, sondern bemalter Putz. Echte Klinkersteine wurden nur zu

                       Beginn verwendet, für Teile des Südflügels. Dann ging es billiger weiter. Mehr

                       Schein als Stein, möchte man kalauern.

06:54              Warum das eigentlich alles? Wen wollte Friedrich denn blenden? Und wie passt

                       das überhaupt zu unserem Bild von Preußen und dem Alten Fritz?

07:08              Einer von des Königs Verehrern, der Schriftsteller und Verleger Friedrich Nicolai,

                       hat eine frappierend moderne Erklärung parat: „Er (der Schlossbau) hatte

                       gewiss eine höhere Ursache, denn es kamen [große] Summen durch den Bau in

                       Umlauf, und dadurch wurden sehr viele Leute ernährt.“ [nicol. 177]

07:31              Das meinen heutige Europapolitiker, wenn sie von Wachstumsimpulsen

                       sprechen, nur daß sie heute keine Schlösser bauen, sondern z. B.

                       Autobahnbrücken.

07:51              Dem Palais gegenüber liegen die Communs, die ehemaligen

                       Wirtschaftsgebäude. Derzeit Baustelle.

08:34              Eine Büste Friedrichs in der Königswohnung im Neuen Palais. Mal heißt es, sie

                        sei aus dem Jahre 1770, mal, sie sei seiner Totenmaske nachgebildet. Er starb

                       1786.

08:49              Friedrich liebte seine Portraits nicht und hat keinem Maler je gesessen. Kein

                       Bild, das ihn zeigt, zu seinen Lebzeiten in einem der Schlösser.

09:11              Die Prachtsäle zu ebener Erde dürfen heutige Besucher nicht betreten. Nicht

                       weil die schönen Fußböden litten, sondern der Eichenkonstruktion wegen, auf

                       denen sie ruhen. Sie ist nicht stabil genug. Da wurde am Bau gespart.

09:31              Man bekommt eine Ahnung, welch ungeheure, geduldige, nie enden wollende

                       Arbeit es ist, dies alles, Park, Schlösser, Kunst, zu bewahren, sich gegen den

                       Strom der Zeit zu stemmen, der eigentlich alles mit sich reißen will.

09:51              Im Stockwerk darüber, in der Oberen Galerie, warme Farbtöne, Böden aus                        Weißbuche und Rosenholz, hängen sechs Gemälde von Guido Reni und Luca                        Giordano, zwei italienischen Meistern des 17. Jahrhunderts, und einer Meisterin:                        Artemisia Gentileschi.

10:12              Vielleicht waren das „die Nacktitüden“, die Kronprinz Friedrich Wilhelm, später                        Kaiser Friedrich III., „aus den Hauptssalons“ entfernte, als er 1859 mit seiner                        jungen, hübschen Gattin Victoria, Tochter der gleichnamigen englischen Königin,

                       in das Neue Palais einzog.

                       Nichts sollte ihren keuschen, viktorianischen Blick verletzen.

10:41              Victoria – er nannte sie Vicky – fiel es nicht ganz leicht, sich an den alten Kasten

                       zu gewöhnen. Überall wehte der Geist der vergangenen Tage, und es mussten                        moderne Dinge eingeführt werden.

10:56              Wasserleitungen gelegt, water closets eingebaut und Badewannen wie diese:

11:03              im Kleiderschrank mit Oberlicht.

11:07              Ferner ein Garten, der englischem Anspruch standhielt.

11:12              „Die Anlagen, die Frauchen in die Hand genommen, versprechen hier in der                        nächsten Umgebung des Neuen Palais reizend zu werden.“

11:23              Viele sagen, es hätte einiges anders kommen können in Preußen und

                        Deutschland, wenn Friedrich Wilhelms Vater, Wilhelm I. – „unser alter Kaiser

                        Wilhelm“ – nicht so lang gelebt und regiert hätte.

11:37              Denn Friedrich Wilhelm und die ihn dominierende Vicky hätten einen liberalen

                       Geist nach Deutschland gebracht. Als aber Friedrich Wilhelm die Thronfolge

                       antrat unter dem Namen Friedrich III., war er bereits schwer krank,

                       Kehlkopfkrebs, und konnte nicht mehr sprechen. Er war 99 Tage Kaiser, ehe er

                       starb, hier in diesem Zimmer.

12:13              Die Art, wie sein Sohn Wilhelm sein Erbe antrat, ließ nichts Gutes ahnen: noch                        während sein Vater im Sterben lag, ließ er das Palais von Soldaten umstellen. Er                        fürchtete, seine Mutter würde Staatspapiere außer Landes und nach England                        schmuggeln. Hätte Shakespeare diesen Machtwechsel erlebt, er hätte seine                        grausamen Königsdramen um eins vermehrt.

12:44              Der neue Kaiser, Wilhelm der Letzte, beanspruchte das Neue Palais nun für sich                        und seine Familie. Seine Mutter duldete er nicht mehr in Potsdam. Sie zog sich                        nach Kronberg im Taunus zurück, trug fortan schwarz und ließ sich Kaiserin                        Friedrich nennen.

13:05              Truppenappell auf dem Mopke genannten Platz zwischen Schloss und den                        Communs. Wilhelm glaubte, Deutschland werde unter seiner Herrschaft zu                        ungeahnter Größe und Macht aufsteigen.

13:45              Am jenseitigen, dem östlichen Ende des Parks von Sanssouci, neben der                        Friedenskirche, steht das Mausoleum, das Wilhelm II. für seinen Vater bauen

                       ließ. Es nimmt Bezug auf frühchristliche Bauwerke [in Italien], und das Mosaik in

                       seiner Kuppel lehnt sich stark an die alten Taufkapellen von Ravenna an.

14:27              Victoria wurde nach ihrem Tod 1901 hierher überführt und neben ihrem Mann                             bestattet. [Der Bildhauer] Reinhold Begas hat das Bild der Toten so gestaltet,

                       wie man sie von nun an sehen wollte: eine schöne, ewig junge Frau. Wer einen

                       Moment verweilt, hat den Eindruck, ihre Brust hebe sich, ihre Lippen wollten sich

                       bewegen.

14:52              Das Deutsche Kaiserreich bestand noch, ja, es plusterte sich enorm auf unter                        Wilhelm II., ehe es in Krieg und Revolution unterging. Und doch erliegt man hier                        dem Gefühl, daß eigentlich dies hier, dieses Mausoleum, sein Ende markiert und                         sein Grabmal ist. // 15:12

 

Schätze Brandenburgs, Kloster Chorin, Kommentartext

 

10:00:28        Am Rande der Schorfheide, eine gute Stunde mit dem Auto nördlich von Berlin, 

                      steht in verträumter Seenlandschaft die weitläufige Ruine eines mächtigen

                      Klosters.

00:46             Generationen wirkten und gestalteten an diesem Ort: Zuerst die

                      Zisterziensermönche, die das Kloster bauten. Zuletzt Amtsleute und Künstler in

                      preussischen Diensten, die es als Ruine konservierten und mit einem Park

                      umgaben.

01:02             Solche Mauern, solche Gärten waren es, die den Greifswalder Maler Caspar

                      David Friedrich inspirierten und mit ihm die ganze Epoche der Romantik.

01:14             Der Hauch einer großen Vergangenheit.

01:19             Kloster Chorin: Nach Westen hin strahlt seine kühne Fassade ins Land, weithin

                      sichtbar, eines der Hauptwerke der norddeutschen Backsteingotik. Seit dem

                      Ende des 13. Jh steht sie hier, an der alten Heerstraße, und jedem, der

                      vorüberzog, bedeutete sie: Macht, Frömmigkeit und Zivilisation.

01:45             Hinter die Mauern sah niemand. Wer nicht zum Orden gehörte, dem blieb das

                      Kloster verschlossen. Wer es aber betrat, um Mönch zu werden, der nahm von

                      der Welt Abschied. Ohne Auftrag konnte er das Kloster nicht mehr verlassen.

02:10             Betritt man das Kloster durch das Torhaus, hat man zur Seite die ehemalige

                      Küche, wo an offenem Herd für alle Bewohner des Klosters, Mönche und

                      Laienbrüder, gekocht wurde. Aber die Mahlzeiten nahmen sie nicht gemeinsam

                      ein. Die Mönche blieben unter sich, aßen schweigend und tranken den ihnen

                      täglich zugeteilten Wein – sie schwiegen überhaupt beinah immer.

02:40             Die Laienbrüder, auch Konversen genannt, d. h. die Bekehrten, hatten ihr großes

                      Refektorium hier im Westflügel des Klosters. Sie waren Männer, die oft bereits in

                      der Mitte des Lebens standen, als sie ins Kloster gingen. Mönche, Chormönche,

                      konnten sie nicht werden. Durch den sogenannten Fürstensaal zogen sie in

                      ihren Teil der Kirche.

03:13             Den Kreuzgang betraten die Konversen nur an wenigen Feiertagen, denn er

                      gehörte zur Mönchsklausur. Der Kreuzgang ist das Innere des Inneren, und der

                      Punkt, der hier alle Aufmerksamkeit auf sich zog, ist das Brunnenhaus, von dem

                      nur ein aufgemauertes Fundament erhalten ist. In allen Zisterzienserklöstern

                      war das Brunnenhaus ein besonderer Ort, denn die Zisterzienser verstanden

                      mehr vom Wasser als irgendwer sonst im Mittelalter.

03:49             Die strenge Trennung der frommen Männer in Mönche und Konversen war im

                      Benediktinerkloster Hirsau im Schwarzwald erfunden worden, von dem eine der

                      großen Reformbewegungen des Mittelalters ausging. Reform bedeutete damals

                      meistens: Zurück zu den Buchstaben der Regel, härter der Alltag, mehr

                      Entbehrungen. Das schreckte niemanden ab, im Gegenteil. Jede

                      Erneuerungsbewegung brachte den Klöstern neuen Zulauf. Der Mensch strebt

                      immer wieder danach, sich dem Dienst an Höherem hinzugeben.

04:38             Die weißen Mönche – Das Sonnenlicht an der Wand ruft sie in Erinnerung. In

                      ihren weißen Kutten.

04:50             Typisch zisterziensisch sind die Konsolen, mit denen das Gewicht der

                      Gewölbebögen auf die Mauern abgeleitet wird.

05:00             Ihre Verzierungen – Fabeltiere und Rankenwerk – weisen weit in frühere,

                      vorchristliche Zeiten zurück. Mittelalterliche Kirchen tragen oft heidnischen

                      Schmuck. 

05:15             An dieser Konsole erkennt man noch die Farbigkeit des 13. Jahrhunderts.

05:21             Nicht alle Konsolen sind mehr im Original erhalten; viele wurden noch im 20.

                      Jahrhundert – DDR – dem Zeitgeschmack entsprechend ersetzt. Sie sind mit

                      Vorsicht zu genießen: das war kein Mönch, der diese Eva formte, auch kein

                      preußischer Oberbaurat.

05:41             Dies alles, so weit das Auge reicht, gehörte dem Kloster. Die Satzung der

                      Zisterzienser bestimmt, daß Klöster nur in unbewohnten, abgelegenen

                      Landschaften gebaut werden dürfen.

05:59             Abgelegen ist die Choriner Gegend noch immer, unbewohnt war sie auch damals

                      nicht. Seit der Völkerwanderung siedelten slawische Stämme in Brandenburg,

                      und sie hatten hier ein letztes heidnisches Refugium im Heiligen Römischen

                      Reich. Aber es war nicht leicht, hier zu wohnen, denn die Gegend ist sumpfig.

                      Und Sümpfe waren gefürchtet im Mittelalter.

06:27             Die Mönche betraten die Kirche vom Kreuzgang her oder direkt aus ihrem

                      Schlafraum, der heute nicht mehr existiert.

06:40             Ihr erster Gottesdienst begann gegen zwei Uhr morgens, und den größten Teil

                      des Tags verbrachten sie in der Kirche.

06:55             Wenn sie nicht beteten, dann arbeiteten sie. Ora et labora – bete und arbeite.

                      Das war das ganze Leben. Freizeit, wie wir sie kennen, hatten sie nicht.

07:38             In der Kirche, während des Gottesdienstes, konnten Mönche und Laienbrüder

                      einander hören, aber nicht sehen, denn zwischen ihnen stand ein hohe

                      Chorschranke. Im Ostteil, beim Hochaltar, die Mönche, im Westteil, beim

                      Kreuzaltar, die Laienbrüder. Darüber erkennt man noch Reste der Empore, die

                      einst für die Fürstenfamilie eingebaut wurde. Das Kloster entstand durch eine

                      Schenkung des askanischen Herrscherhauses, das hier auch seine Grablege

                      hatte.

08:12             Der bekannteste der hier bestatteten Askanier ist wohl Otto IV., Otto mit dem

                      Pfeil. Wir sehen ihn hier beim Schach mit einer Dame, vermutlich seiner Gattin

                      Heilwig. Die Gräber jedoch sind verschwunden.

08:33             Glück hat, wem es gelingt, diesen großartigen Innenraum ohne Bestuhlung zu

                      sehen.

08:44             Heute finden hier regelmäßig Konzerte statt, große Attraktionen manchmal, die

                      Besucher kommen von weither, besonders im Sommer.
                      Ja, in unserer Zeit muß jeder tingeln und sein Geld einbringen, auch ein altes

                      Kloster, das Jahrhunderte claustrum war, d. h. für alle Welt verschlossen.

09:42             Das Klostergelände war einst größer als heute, und die Mühle lag innerhalb der

                      Umfriedung. Einst floß hier ein Bach. Sieben Öffnungen für sieben Mühlräder –

                      hier wurde nicht einfach nur Getreide gemahlen.

09:57             Diese Mühle war wohl eher ein Maschinenhaus, in dem verschiedene Arbeiten –

                      Mahlen, Hämmern, Walzen, Sägen – gleichzeitig verrichtet werden konnten. Die

                      Zisterzienser waren große Ingenieure; mit ihnen kam die technische Innovation.

10:22             Die weißen Mönche bei der Arbeit. Eine berühmte Altartafel aus dem

                      Zisterzienserkloster Maulbronn im Kraichgau, Südwestdeutschland.

10:41             Der Bach, auf den man zwischen Chorin und Brodowin stößt, heißt Nettelgraben

                       – Nesselgraben – und ist kein natürlicher Bachlauf, sondern ein 5 km langer

                      Kanal, den die Mönche gruben, um mehr Wasser in ihren Klostersee und auf ihre

                      Mühlen zu leiten.

11:31             Aber was der Mensch auch baut, es ist doch nichts von Dauer. Im 14.

                      Jahrhundert bereits erlosch die askanische Dynastie. Chorin überstand mit Mühe

                      und Geschick zwei weitere Jahrhunderte, erreichte das Zeitalter der Reformation

                      und ging darin unter. Nicht durch Glaubensstreitigkeiten, sondern weil der

                      Landesherr, der Hohenzoller Joachim II., die Zeit der Wirren nutzte, um das

                      Kloster an sich zu reißen.

                      Im Jahre 1542 wurde das Kloster säkularisiert, und der Kurfürst überließ Chorin

                      mit allen Ländereien seinem Amtmann von Kökeritz gegen 20000 Taler. Die

                      Zisterzienser waren fort, nun begann der langsame, Jahrhunderte dauernde

                      Verfall.

12:35             Vermutlich 1806 sah Karl Friedrich Schinkel auf der Reise von Berlin nach Stettin

                      das Kloster zum ersten Mal. Das Dach war abgetragen, die Gewölbe eingestürzt.

                      In der Kirchenruine wurde Schweine gehalten. Schinkel war damals 25, und

                      Preußen war, nach der Niederlage von Jena und Auerstedt, so gut wie verloren.

                      Napoleon zog in Berlin ein. Es war nicht die Zeit, sich um eine Klosterruine

                      Gedanken zu machen.

13:09             10 Jahre später jedoch, nach den Befreiungskriegen, schrieb Schinkel, nun

                      preußischer Geheimer Oberbaurat und Baumeister des Königs, eine engagierte

                      Note: „Bei der Seltenheit solcher Denkmäler wird die Erhaltung eines solchen                       zur Pflicht…“

13:26             Chorin steht daher, gemeinsam mit wenig anderem, am Beginn der preußischen

                      Denkmalpflege, und es wäre untergegangen, wenn sich Schinkel nicht so

                      entschieden für seinen Erhalt eingesetzt hätte: als malerische Ruine, die von

                      einer fernen Größe kündet.

 

Schätze Brandenburgs, Der Dom an der Havel (Brandenburg), Kommentartext 

 

10:00:30         Alte Bücher üben einen seltsamen Zauber aus.

00:36              Alte Bibliotheken hüten das Wissen und Denken lang vergangener Zeiten.

00:51              Irgendwas zieht uns magisch an, obwohl – oder weil! – wir kaum noch lesen

                       und verstehen können, was zwischen den ledernen oder pergamentenen

                       Einbänden geschrieben steht.

01:04              Bibliotheken wie diese in Brandenburg an der Havel sind das Gedächtnis einer

                       versunkenen Welt.

01:20              Alte Bücher, gebunden in das Pergament noch älterer Bücher.

01:32              Blättern in einer Bibel.

01:38              Eine Bibel in deutscher Sprache, älter als die Übersetzung Martin Luthers.

01:58              Brandenburg duckt sich still und bescheiden in seinen Winkel, und manch ein

                       Weltstädter in Berlin weiß nicht einmal, in welcher Himmelsrichtung er nach ihm

                       suchen sollte. So vergeht der Ruhm der Welt. Denn Brandenburg war einmal die

                       bedeutendste Stadt Landes, das ja nicht zufällig ihren Namen trägt.

02:21              Überhaupt der Name! Der Streit darüber, ob er germanischen Ursprungs sei,

                       von Brandrodung kommt, oder vom slawischen „bronja“, Rüstung, Wehr,

                       bewegte die Gemüter verschiedener Jahrhunderte.

02:36              Früher brummte es hier vor Geschäftsideen und Unternehmergeist, es gab

                       Tüftler, Erfinder, Gründer, Industrie.

02:45              Alles Geschichte jetzt. Die Räder stehen still. In der Halle des Walzwerks ist ein

                       Industriemuseum.    /02:52

03:05              Den ersten Dom, den Vorgänger des heutigen, ließ Otto I. bauen. Das war 948.

                       Otto war damals noch König, später Kaiser, Otto der Große, Gründer des

                       Heiligen Römischen Reichs. Im Domstift ist heute eine Schule untergebracht, die

                       Bibliothek, das Archiv und das Dommuseum. Ringsumher hübsche Häuser, in

                       denen einst die Domherren wohnten.           /03:40

04:13              Petrus mit dem Schlüssel, der Himmelspförtner. Wie die meisten großen Kirchen

                       trägt der Dom Spuren aller Epochen. Begonnen hatte er als schlichte

                       romanische Basilika mit flacher Decke, und es wäre überwältigend, wenn man

                       ihn heute noch in diesem Zustand sehen könnte. Aber jede Zeit wollte das ihre

                       hinzutun, am Haus Gottes mitbauen und sich so verewigen.

04:48              Der Ausbau der Krypta fällt noch in die romanische Epoche. Ihre Säulenkapitelle

                       gehören zu den schönsten der Mark. Es sind Spolien, d. h. sie stammen nicht

                       von hier und haben eine unbekannte Vorgeschichte.

05:34              Der Böhmische Altar stammt aus dem 14. Jh. Eine kürzlich durchgeführte

                       dendrochronologische Untersuchung, das ist eine Untersuchung des Holzes und

                       seiner Jahresringe, hat seine böhmische Herkunft bestätigt. Vermutlich wurde er

                       in Prag gefertigt und ist ein Geschenk Kaiser Karls des Vierten, der dort

                       residierte. Kunst diente dem Kaiser zur Untermauerung territorialer Ambitionen.

                       1373 übernahm das Haus Luxemburg, dem Karl angehörte, die Kurwürde des

                       Fürstentums Brandenburg.

06:37              Das Museum betritt man vom Dom her. Unter dem Blick Friedrichs I. König in

                       Preußen, gestorben 1713, kann man sich hier über alte Urkunden beugen.      

                       /06:49

06:53              Vor allem über diese: 948, Gründung des Bistums Brandenburg, mit der

                       Unterschrift Ottos des Großen.

07:02              Von eigener Hand führte er dabei nur einen Strich aus: die senkrechte

                       Verbindung der beiden Pfeilspitzen oder o´s in seinem Namen.

07:12              Wer genau hinschaut, erkennt, daß der Herrscher die Feder mit nicht ganz so

                       geübter Hand führte wie seine Schreiber und der Notar. Letzter unterzeichnete

                       mit seinem schicken Signet in Glockenform.

07:27              Des Königs Siegel ist verschwunden, und es wäre beruhigend, wenn man

                       sagen könnte: irgendwann im 12. Jahrhundert. Oder während des

                       Dreißigjährigen Kriegs.

07:40              Nein, es prangte bis ins vergangene Jahrhundert auf der Urkunde. Am Ende des

                       Zweiten Weltkriegs, nach der Eroberung Brandenburgs durch die Rote Armee,

                       fand man sie auf der Straße, ohne das Siegel.

07:58              Man kann den Brandenburgern wohl verzeihen, daß sie neben dieser Urkunde

                       ein zweite ausstellen, die ein paar hundert Jahre jünger ist. Genauer: aus dem

                       Jahre 1237. Da steht in winziger Schrift in Zeile 7 von unten ein Symeon, von

                       Beruf plebanus de Colonia, das heißt: Pfarrer aus Cölln. Da es sich um eine

                       regionale Urkunde handelt, ist Köln am Rhein nicht gemeint, sondern jenes

                       Cölln, das in Berlin aufging. Und dies ist also die erste urkundliche Erwähnung

                       der Stadt Berlin.

08:31              Ein Parvenü, der, arm aber sexy, nun auch schon in die Jahre gekommen ist.

08:47              In der Domklausur befand sich auch früher schon einmal eine Schule, die

                       Preußische Ritterakademie. Sie zog hier am Anfang des 18. Jh ein und wurde

                       1937, unter der Herrschaft Hitlers, aufgelöst. Das ist ein bemerkenswertes

                       Detail für alle, die den „preußischen Militarismus“ umstandslos mit dem

                       Nationalsozialismus gleichsetzen.

09:22              Im Eingang erinnert eine Gedenktafel an die 118 im Ersten Weltkrieg gefallenen

                       Schüler und vier ihrer Lehrer.

09:31              118, dabei sind auch ehemalige. Aber bei einer Schule, die maximal 150 Schüler

                       hatte.

09:39              All die preußischen Namen. Man ahnt, welche Wunden der Erste Weltkrieg dem

                       alten Preußen schlug.            /09:48

10:02              In ihrem Kreuzgang passierten die Ritterschüler täglich eine Säule mit einem

                       antisemitischen Kapitell.

10:16              Unbekannt, was sie dabei dachten. Es ist die älteste, bei weitem nicht die

                       einzige Darstellung einer Judensau in Deutschland. Entstanden ist sie um 1230.

10:34              Man schämt sich heute bei ihrem Anblick, weil man weiß, was alles noch

                       geschehen sollte.

10:53              An der Domfassade ist, seit dem Umbau des 19. Jahrhunderts halbverdeckt, ein

                       großer Davidstern. Als der Dom gebaut wurde, war das Hexagramm noch kein

                       eindeutig jüdisches Symbol. Vielleicht bezeichnete es den alttestamentarischen

                       Messias. Vielleicht diente es der Abwehr von Geistern.

11:20              An sonnigen Nachmittagen senkt sich geradezu dörfliche Stille über die

                       Dominsel. Die Domdechanei war früher gleichzeitig Wohnhaus der Dompropste,

                       deren schneidigster Henri Auguste de la Motte Fouque war, General und

                       Vertrauter Friedrichs des Großen.
                       Er war ein Held seiner Zeit, aber wir denken bei dem Namen de la Motte Fouque

                       an einen anderen, seinen Enkel Friedrich, der hier geboren wurde. Vielmehr: an

                       eine andere, nämlich dessen Geschöpf Undine, die arme Seejungfrau.           

                        /11:52

11:57              Friedrich war kein Held seiner Zeit, er war ein schon zu Lebzeiten fast

                       vergessener Dichter, aber heute ist immerhin die Stadtbibliothek nach ihm

                       benannt, die am Altstädtischen Markt liegt, unter den Augen des Brandenburger

                       Rolands.

12:15              Fouque hätte den resignierend-stolzen Satz eines späteren Schriftstellers auf

                       sich anwenden können: „Undine ist berühmt, nicht ich“. /12:23

12:34              Die Geschichte hat einen autobiographischen Hintergrund, aber auf die Idee,

                       die Geliebte in der Gestalt einer Nymphe zu verkörpern, kam er durch ein altes

                       Buch, „Liber de nymphis“ von Paracelsus.    /12:46

12:54              Wir hätten es gern gefunden in der alten Bibliiothek.

13:04              Nein, dies ist es nicht. Aber es ist ähnlich, noch älter, ein Werk des

                       Universalgelehrten Albertus Magnus, der im 13. Jahrhundert lebte.

13:18              „Weibergeheimnuß.“
                        Fabelwesen, Heilkunde, Planeten – frühe Wissenschaft.            /13:25

13:38              Alte Bücher üben einen seltsamen Zauber aus.